Es ist eine neue Balance nötig zwischen People Centric-Culture und Produktivität, höre ich in letzter Zeit öfters von Führungskräften. Zudem: SAP soll Medienberichten zufolge seine Beschäftigten künftig in drei Leistungsklassen aufteilen wollen. Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie das hören?
Wir sind im Europäischen Hof Heidelberg davon überzeugt, dass wir nur erfolgreich sein können, wenn wir als Team perfekt zusammenarbeiten. Wir spielen in diesem Sinne ein Mannschaftsspiel und das in einer empathischen und werteorientierten Unternehmenskultur. Ich verstehe den grundsätzlichen Wunsch nach hoher Produktivität, glaube aber, dass die Einteilung in Leistungsklassen in unserem Unternehmen eher kontraproduktiv wäre.
Inwiefern?
Sie birgt aus meiner Sicht die Gefahr der festschreibenden Stigmatisierung, der negativen Beeinflussung des Selbstwertes und Demotivation einzelner und die Überbetonung von Wettbewerb statt Kooperation mit allen dysfunktionalen Effekten. Teams und einzelne können in unserem Verständnis Höchstleistungen erbringen und produktiv sein, wenn es der Führung gelingt, dass sich eine Verantwortungs-, Kooperations-, Feedback- und Vertrauenskultur bildet, in der sowohl Erfolge als auch konstruktives Scheitern als Wachstumschancen angesehen werden. Dies sowohl individuell als auch kollektiv. Zudem bietet die Führung in einer solchen Kultur einen sinnstiftenden und motivierenden Grundauftrag an, der idealerweise die Energien mobilisiert und fokussiert. Produktivität und Leistung folgt dann meistens automatisch. Schließlich sollte die Führung das Team in den Mittelpunkt rücken statt den Einzelnen, psychologische Sicherheit schaffen und Leistungsorientierung, also high performance, sowie Menschlichkeit im Sinne von high integrity über Feedback und Vertrauen balancieren.
Die Hotellerie muss seit Jahren mit vielen Herausforderungen klarkommen, ein 5-Sterne-Hotel wie Ihres braucht auch in einer Multikrise Menschen, die alles geben. Wie messen Sie die Leistung Ihrer Mitarbeitenden und wie spiegeln Sie Leistung?
In der Hotellerie ist die Leistungsmessung oft komplexer als in anderen Branchen. Sie umfasst nicht nur quantitative, sondern auch viele qualitative Aspekte wie Gästezufriedenheit, Flexibilität und abteilungsübergreifendes Arbeiten. Im Europäischen Hof sprechen wir lieber von Feedback, da bei uns eine Leistungsbewertung nicht nur einseitig von oben nach unten erfolgt, sondern auch upward, von Kolleginnen und Kollegen und natürlich durch Gästefeedbacks. Feedback findet zudem regelmäßig, auf verschiedene formelle und informelle Weisen und auf allen Ebenen des Unternehmens statt. Auch die Mischung aus qualitativen und quantitativen Größen wird berücksichtigt. Leistungsklassen haben wir dabei nicht im Kopf. Feedback ist für uns ein wesentlicher Bestandteil einer guten und wachstumsorientierten Unternehmenskultur. Wir wollen durch kritisches wie positives Feedback in alle Richtungen ermöglichen, dass jeder und jede, blinde Flecken beleuchtet, Verbesserungen identifiziert, Stärken stärkt, Potenziale entfaltet und über sich hinauswachsen kann.
Stellen Sie oder andere Führungskräfte fest, dass es an Leistung fehlt – wie justieren sie nach?
Wir sind sehr nah an unseren Kolleginnen und Kollegen dran. Wenn wir beobachten, dass jemand nicht mehr die Leistung erbringt, die er bisher erbracht hat oder die wir uns von ihm oder ihr wünschen, nicht mehr so motiviert ist oder einfach nicht mehr so zufrieden, dann sprechen wir das direkt an versuchen gemeinsam mit ihm oder ihr, die Ursachen herauszufinden und Ansatzpunkte zu identifizieren, dass der Mitarbeitende wieder in seine ganze Kraft kommt bzw. wieder Freude bei der Arbeit hat. Hier ermitteln wir natürlich auch unseren Anteil als Arbeitgeber.
„Je mehr Vertrauen man schenkt, desto mehr bekommt man zurück!“
– Caroline von Kretschman
Sind Sie in Zeiten wie diesen weniger offen für besondere Wünsche oder Nöte der Belegschaft?
In Bezug auf die Offenheit für die Wünsche und Bedürfnisse unserer Kolleginnen und Kollegen machen wir keinen Unterschied zwischen guten und herausfordernden Zeiten. Entsprechend unserer empathischen und werteorientierten Unternehmenskultur, die den Mitarbeitenden in den Mittelpunkt stellt, noch vor dem Gast und weit vor dem Unternehmen, ist es uns wichtig, uns als Führung zu jeder Zeit, in die Gefühle, Motive und Gedanken des Gegenübers einzufühlen und zu versuchen, ihn oder sie zu verstehen. In schwierigen Zeiten ist es aus unserer Erfahrung vielleicht sogar noch wichtiger, auf die Bedürfnisse und Wünsche der Mitarbeitenden einzugehen, da in herausfordernden Zeiten, wie z.B. in der Coronakrise, verstärkt Unsicherheiten und Ängste auftreten können. Menschen wollen aus meiner Sicht zu jeder Zeit gehört und gesehen werden. Das Zuhören und Einfühlen ist dafür essentiell, zudem fördert es Bindung, Vertrauen und trägt zu einer positiven Arbeitsatmosphäre und hohen Mitarbeitendenzufriedenheit bei. Das heißt allerdings nicht, dass man jedem Wunsch entsprechen muss, aber muss darüber in Kommunikation treten. Es ist das Schicksal von Führungskräften, dass sie Erwartungen und Wünsche manchmal bewusst enttäuschen müssen. Auch, weil es ökonomisch einfach nicht darstellbar ist. So gesehen bedeutet Führung, auch Dinge auszusprechen, welche andere hören müssen, nicht nur, welche andere hören wollen. Auch das gehört zu einer guten Balance von Leistungsorientierung und Menschlichkeit.
„Trust me“, das kürzlich erschienene Buch von Karin Lausch macht deutlich, dass sie „Vertrauen als Schlüsselrolle für die Arbeitswelt von morgen“ ansieht. Richtig?
Niklas Luhmann, der berühmte deutscher Soziologe und Gesellschaftstheoretiker, bezeichnete Vertrauen als die Strategie mit der größeren Reichweite und höchsten Effizienz. Für mich spielt achtsames – nicht blindes – Vertrauen eine zentrale Rolle in der Führung und in diesem Sinne würde ich Karin Lausch absolut zustimmen. Meine Erfahrung ist, dass je mehr Vertrauen man schenkt, desto mehr bekommt man zurück. Das erfordert wiederum Selbstvertrauen. Wer vertraut, verpflichtet andere zur Selbstständigkeit, zur Übernahme von Verantwortung und ermöglicht dadurch individuelles Wachstum.
Was erleben Sie Positives dadurch?
Es ist zutiefst berührend zu sehen, wie Menschen über sich hinauswachsen und zu was sie fähig sind, wenn man ihnen Vertrauen schenkt. Aus meiner Sicht wird Vertrauen auch immer wichtiger, da in einer komplexen, dynamischen und unsicheren Welt, der einzelne oder die einzelne allein nicht mehr wissen kann, was der richtige Weg ist. Als Führungskraft ist man daher darauf angewiesen, auf die Kompetenz und Fähigkeiten seiner Teammitglieder zu vertrauen. Vertrauen bildet in unserem Familienunternehmen die Grundlage unserer empathischen und werteorientierten Unternehmenskultur und ist entscheidend für die Mitarbeitendenzufriedenheit und -bindung. Zugleich gibt es sicherlich Branchen und Unternehmen, in denen Vertrauen nicht diese prominente Rolle spielt und bei denen andere Faktoren wie Effizienz, Kontrolle, Hierarchie etc. im Vordergrund stehen. Wir glauben eher an den anderen Weg.
Wenn Sie auf das kommende Jahr blicken: Wie lauten Ihre eigenen persönlichen HR-Trends oder Vorlieben? Was packen Sie auf jeden Fall an?
Auch im kommenden Jahr wird der Fachkräftemangel aus meiner Sicht das dominierende Thema sein. Das Personalmanagement rückt damit noch mehr ins Zentrum der strategischen Unternehmensführung und ist nun bei den meisten zur Chef- bzw. Chefinnensache geworden. Ich glaube, die Arbeitgebermarke wird genauso wichtig werden wie die Unternehmensmarke, die Mitarbeiterbindung in ihrer Bedeutung das Recruiting überholen und analoge Personalarbeit wird durch digitale gezielt ergänzt werden. Wir im Europäischen Hof werden weiter unsere empathische und werteorientierte Unternehmenskultur und unsere wertschätzende und entwicklungsorientierten Führungsansatz leben. Das sind die wesentlichen Gründe, warum Kolleginnen und Kollegen sich bei uns so wohl fühlen bzw. zu uns kommen. Zugleich werden wir versuchen, die Rahmenbedingungen weiter zu optimieren. Dies z.B. durch verstärkte Umsetzung flexibler Arbeitszeitmodelle und einer weiteren Intensivierung der Fortbildungsmöglichkeiten. Auch werden wir versuchen, Prozesse noch stärker zu digitalisieren und gezielt künstliche Intelligenz einzusetzen, um unsere Kolleginnen und Kollegen zu entlasten und die Effizienz und Effektivität zu steigern. Das übrigens auch im Bereich der Personalmanagementprozesse.
Wie nehmen Sie die Debatte um flexiblere Arbeitszeiten, die 4-Tage-Woche oder New-Work-Ansätze im Gastgewerbe wahr?
Die Diskussion um flexible Arbeitszeiten und New-Work-Ansätze wie weniger Hierarchie, mehr Autonomie und sinnstiftendes Arbeiten, ist natürlich auch in der Hotellerie relevant. In unserer Branche, die traditionell von starren Arbeitszeitmodellen, hohen physischen wie auch emotionalen Anforderungen und einer Präsenz an sieben Tagen der Woche, oft rund um die Uhr, geprägt ist, sehe ich in diesen Ansätzen eine Chance, die Arbeitszufriedenheit der Mitarbeitenden sowie die Arbeitgeberattraktivität zu steigern.
Wie kann das gelingen und welche Risiken können sich ergeben?
Flexiblere Arbeitszeiten ermöglichen es vielfach, Arbeit- und Privatleben besser in Einklang zu bringen. Dies führt nicht nur zu einer höheren Mitarbeitendenzufriedenheit, sondern auch zu einer gesteigerten Produktivität und Kreativität am Arbeitsplatz. Allerdings müssen wir dabei auch die spezifischen Anforderungen unserer Branche berücksichtigen. Daher ist es die Herausforderung, z.B. intelligente Schichtmodelle oder Möglichkeiten zu Remote-Arbeit zu entwickeln, die sowohl den Bedürfnissen unserer Kolleginnen und Kollegen als auch denen unserer Gäste und des Unternehmens gerecht werden.
Individualität als wichtiger Hebel für Mitarbeiterbindung und Zusammenhalt?!
Ja. Hier wird das Thema Job Crafting, also die aktive und individuelle Gestaltung der eigenen Arbeit, immer relevanter. In Bezug auf das Thema Homeoffice müssen wir allerdings zum Beispiel verhindern, dass eine Zweiklassengesellschaft entsteht, bei der sich die, die weiter vor Ort tätig sein müssen, benachteiligt fühlen. Wir sind bestrebt, für uns passende New-Work-Konzepte in unserem Hotel zu implementieren ohne bewährte Konzepte grundsätzlich über Bord zu werden. Abgesehen davon setzen wir viele Elemente wie zum Beispiel eine wertschätzende Unternehmenskultur, den Ansatz der dienenden Führung, Kooperation statt Wettbewerb, hohe Flexibilität und Individualität, flache Hierarchien etc. schon seit Jahren bzw. Jahrzehnten im Betrieb um. Also bei uns ist Vieles, was jetzt als New Work bezeichnet wird, gar nicht so neu.
Dr. Caroline von Kretschmann leitet das Luxushotel Der Europäische Hof Heidelberg in vierter Generation. Seine Tradition reicht bis ins Jahr 1865 zurück. Sie hat einen umfassenden Transformationsprozess eingeleitet im eigenen Unternehmen mit den Schwerpunkten Nachhaltigkeit, Mitarbeiterführung und Digitalisierung. Für ihre Verdienste in der Hotellerie und ihr öffentlichen Eintreten für die Branche ist sie 2022 von der Fachzeitung ahgz mit der Auszeichnung „Hotelier des Jahres“ geehrt worden.
Dr. Caroline von Kretschmann leitet das Luxushotel Der Europäische Hof Heidelberg in vierter Generation. Seine Tradition reicht bis ins Jahr 1865 zurück. Sie hat einen umfassenden Transformationsprozess eingeleitet im eigenen Unternehmen mit den Schwerpunkten Nachhaltigkeit, Mitarbeiterführung und Digitalisierung. Für ihre Verdienste in der Hotellerie und ihr öffentlichen Eintreten für die Branche ist sie 2022 von der Fachzeitung ahgz mit der Auszeichnung „Hotelier des Jahres“ geehrt worden. |